OGH vom 25.05.2016, 7 Ob 84/16b (Versicherungsrecht)

Unbeschränktes (imparitätisches) Recht des Versicherers zur Kündigung im Schadensfall ist ungewöhnlich iSd § 879 (3) ABGB

1.) Sachverhalt:

Die Klägerin schloss mit der Beklagten am 21. 9. 2010 einen Rechtsschutzversicherungsvertrag ab, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Ö*****-Mobilitäts- und Konsumenten-Rechtsschutzversicherung 2010 (MKRB 2010) zugrunde liegen. Nach Meldung eines Schadenfalls durch die Klägerin gab die Beklagte dafür mit Schreiben vom 23. 1. 2014 einerseits eine Deckungserklärung ab und kündigte andererseits das Versicherungsverhältnis mit Wirkung zum 1. 3. 2014. Die Beklagte berief sich dabei auf Art 13 MKRB 2010, der auszugsweise wie folgt lautet: „Kündigung im Schadenfall 1. Nach Bestätigung des Versicherungsschutzes oder Erbringung der Leistung haben der Versicherungsnehmer und der Versicherer das Recht, die Versicherung mit einmonatiger Frist zu kündigen; der Versicherer spätestens anlässlich der Erledigungsmitteilung, der Versicherungsnehmer spätestens einen Monat nach Erhalt dieser Mitteilung.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Rechtsschutz-Versicherungsvertrag zwischen ihr und der Beklagten auch nach dem 1. 3. 2014 aufrecht bestehe.

2.) Entscheidungsbegründung:

Das Kündigungsrecht nach Art 13.1. MKRB 2010 ist nicht objektiv ungewöhnlich iSd § 864a ABGB, jedoch gröblich benachteiligend iSd § 879 (3) ABGB:

Nach Art 13.1. MKRB 2010 sind zwar Versicherungsnehmer und Versicherer zur Kündigung des Rechtsschutzversicherungsvertrags nach Bestätigung des Versicherungsschutzes oder Erbringung der Leistung berechtigt. Aber auch bei Parität (dh formaler Gleichheit) der Kündigungsrechte ist die Klausel einer Inhaltskontrolle zu unterziehen. Versicherungsnehmer haben bei Eintritt eines Versicherungsfalls, für den der Versicherer leistungspflichtig ist, kaum Grund und Anlass zu einer Kündigung. Nach der Klausel steht der Beklagten jedoch bei einmaliger Bestätigung des Versicherungsschutzes oder Leistungserbringung ein uneingeschränktes Kündigungsrecht im Schadenfall zu, auch im Bagatellfall. Dadurch wird ihr die Möglichkeit eingeräumt, die Prämien während eines langen Zeitraums zu lukrieren und beim ersten Versicherungsfall (mag dieser zB auch nur in einer einmaligen Rechtsberatung liegen) den Versicherungsvertrag zu kündigen. Die jederzeit mögliche Kündigung durch den Versicherer wird dadurch zum Willkürakt. Die Kündigungsrechte sind zwar formal gleich geregelt, jedoch besteht in diesen Fällen eine ganz erheblich unterschiedliche Interessenlage, die den Versicherer ohne sachliche Rechtfertigung deutlich grob bevorzugt.  Er kann nach der Klausel uneingeschränkt kündigen, während diese Möglichkeit für den Versicherungsnehmer keinen besonderen Wert hat. Inhaltlich besteht insofern ein grobes Ungleichgewicht. Art 13.1. MKRB 2010 konkretisiert nicht die Voraussetzungen, unter denen der Versicherer sein Kündigungsrecht aus sachlich nachvollziehbaren Kriterien ausüben kann. Wird dem Versicherer eine völlig undeterminierte Kündigungsmöglichkeit beim ersten – noch so kleinen – Rechtsschutzversicherungsfall eingeräumt, ist diese Kündigungsregelung mangels objektivierbarer Kriterien gröblich benachteiligend und hält schon aus diesem Grund der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB nicht stand.