OGH 28.10.2015, 9 ObA 79/15f

Eigenmächtiger Urlaubsantritt berechtigt zur Entlassung.

Der Dienstgeber hat die Entlassung jedoch unverzüglich auszusprechen und darf nicht die gerichtliche Entscheidung über die Berechtigung zum Urlaubsantritt abwarten.

1.) Sachverhalt:

Die Klägerin war seit 3.5.1999 bei der Beklagten als Flugbegleiterin tätig. Da die Streitteile über das Begehren der Klägerin, nicht nur vom 26.12.2012 bis 8.1.2013, sondern auch vom 23. bis 25.12.2012 Urlaub nehmen zu wollen, keine Einigung erzielten, brachte die Beklagte in einem Vorprozess Klage auf Feststellung ein, dass die Klägerin nicht berechtigt sei, im Zeitraum vom 23.12.2012 bis 25.12.2012 Urlaub zu konsumieren. Die Klägerin trat ungeachtet der Entlassungsdrohung am 23.12.2012 ihren Urlaub an. Mit Urteil vom 25.2.2014, 8 Ra 5/14k, zugestellt am 1.4.2014, wurde der Berufung der beklagten Dienstgeberin (als dortiger Klägerin) Folge gegeben und der Klage stattgegeben. Mit Schreiben desselben Tages (1.4.2014) sprach die Beklagte die Entlassung der Klägerin aus, weil sie in der Zeit vom 23.12. bis 25.12.2012 unberechtigt dem Dienst ferngeblieben sei. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin, die Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären, weil die Entlassung verspätet sei und es sich bei ihrem einseitigen Urlaubsantritt um eine vertretbare Rechtsansicht gehandelt habe. Der beklagte Dienstgeber bestritt: die Entlassung sei erst dann auszusprechen, wenn das Gericht die fehlende Berechtigung des Urlaubsantritts festgestellt habe. Dies sei mit der Zustellung des Urteils des Oberlandesgerichts Wien erfolgt. Bei einem anhängigen Urlaubsverfahren gemäß § 4 Abs 4 UrlG trage der Arbeitnehmer das Risiko eines ungerechtfertigten einseitigen Urlaubsantritts. Der OGH gab der Entlassungsanfechtung Folge.

2.) Entscheidungsbegründung:

Der Zeitpunkt des Urlaubsantritts bedarf einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Hat der Arbeitnehmer in Betrieben, in denen ein für ihn zuständiger Betriebsrat eingerichtet ist, den von ihm gewünschten Zeitpunkt für den Antritt seines Urlaubs oder eines Urlaubsteiles in der Dauer von mindestens zwölf Werktagen dem Arbeitgeber mindestens drei Monate vorher bekannt gegeben und kommt eine Einigung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer nicht zustande, so sind die Verhandlungen unter Beiziehung des Betriebsrats fortzusetzen. Kommt auch dann keine Einigung zustande, so kann der Arbeitnehmer den Urlaub zu dem von ihm vorgeschlagenen Zeitpunkt antreten, es sei denn, der Arbeitgeber hat während des Zeitraums, der nicht mehr als acht und nicht weniger als sechs Wochen vor dem vom Arbeitnehmer vorgeschlagenen Zeitpunkt des Urlaubsantritts liegen darf, wegen des Zeitpunkts des Urlaubsantritts die Klage beim zuständigen Arbeitsgericht eingebracht. Nach § 4 Abs 4 UrlG trägt bei betriebsratspflichtigen Betrieben der Arbeitgeber die Prozesslast für das Recht des Arbeitnehmers, seinen Urlaub zum gewünschten Termin antreten zu können. Die Feststellungsklage des Arbeitgebers hat daher auch nicht die Wirkung eines absoluten Ausschlusses des Arbeitnehmers von einem eigenmächtigen Urlaubsantritt im Sinne einer „Sperrwirkung“. Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer durch Einbringung der Klage zu verstehen, mit dem vom Arbeitnehmer beabsichtigten Urlaubsantritt nicht einverstanden zu sein und tritt der Arbeitnehmer den Urlaub – während des idR dann laufenden Verfahrens – dennoch an, so geschieht dies auf sein Risiko. Im Fall eines Prozessverlusts des Arbeitgebers steht nachträglich fest, dass der Arbeitnehmer zum Urlaubsantritt berechtigt war; im Fall des Obsiegens des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer dazu nicht berechtigt war, sodass sein Fernbleiben vom Dienst nicht mit dem Urlaubsantritt zu rechtfertigen ist.

 

Die Gründe für eine vorzeitige Beendigung eines Dienstverhältnisses müssen bei sonstigem Verlust des bestehenden Auflösungsrechts jedoch unverzüglich nach ihrem Bekanntwerden geltend gemacht werden. Es ist nicht zu übersehen, dass auch der Arbeitgeber im Zeitpunkt des eigenmächtigen Urlaubsantritts des Arbeitnehmers über den Prozessausgang idR noch keine Gewissheit haben wird. Dennoch kann die zitierte Rechtsprechung, dass einem Arbeitgeber bei vorerst zweifelhaftem Sachverhalt das Recht zugebilligt werden muss, mit der Entlassung bis zur Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände durch die hiefür zuständige Behörde zuzuwarten. kein unklarer Sachverhalt vor, den der Arbeitgeber nicht mit eigenen Mitteln aufklären könnte. Die für die Entlassung maßgeblichen Umstände – Fernbleiben des Arbeitnehmers vom Dienst infolge Urlaubsantritts – liegen vielmehr klar zutage. Ob ein Arbeitgeber ausreichende Gründe hat, dem Arbeitnehmer den Urlaubsantritt zum vorgeschlagenen Zeitpunkt zu verwehren, ist eine Frage ihrer Bewertung, nicht aber der Sachlage. Daraus folgt aber, dass § 4 Abs 4 UrlG die Verteilung des Risikos für die Rechtzeitigkeit einer Entlassung nicht ändert. Genau so wie der Arbeitnehmer bei eigenmächtigem Urlaubsantritt trotz Feststellungsklage des Arbeitgebers eine die sofortige Entlassung rechtfertigende Dienstverfehlung riskiert, muss danach der Arbeitgeber die Folgen der Einschätzung tragen, ob eine Entlassung, die erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens ausgesprochen wird, noch dem Unverzüglichkeitsgrundsatz entspricht.

 

Das Zuwarten mit dem Entlassungsausspruch über einen Zeitraum von mehr als 15 Monaten bis 1.4.2014 führt zur Verfristung des Entlassungsrechts.

Dr. Guido Bach > Rechstanwalt für Arbeitsrecht in Wien